Ich bin als Kind zweimal umgezogen.
An das erste mal kann ich mich nicht erinnern, es ging aus dem Haushalt meiner Großeltern in die erste eigene Wohnung meiner Mutter. Ja, das ist ein Indiz für ihr Alter damals. Wir zogen allein dort ein, mein Vater lebte die ersten Jahre getrennt von uns, war aber täglich da.
Ich kann mich an diese Wohnung erinnern. „Toilette auf halber Treppe“, wie man das damals nannte, großes Wohnzimmer, schlauchartiges Kinder- und Schlafzimmer, kleinere Küche. Kein Bad. Ich wurde 1980 geboren, und ja – solche Wohnungen gab es damals in der DDR.
Ich kann mich an Dinge erinnern. Kann noch immer in Gedanken durch die Wohnung gehen, kenne den Ausblick aus dem Wohnzimmer-Fenster, kenne die Couch und den Fernseher. Ich erinnere mich an Begebenheiten, wie die um unseren Wellensittich, der eines Wintertages durchs Wohnzimmer verschwand und drei Tage später wie durch ein Wunder wieder durchs offene Küchenfenster kam und an den Essensresten knabberte – da fällt mir ein: Ich wollte meine Mutter mal fragen, ob das wirklich der gleiche Vogel war …
Dann zogen wir irgendwann vor meiner Einschulung ins Haus meines Vaters. Eine Villa, erbaut kurz vor Ende des 19 Jahrhunderts. 4 Meter hohe Decken. Auch hier eher Ost-Standard – eine fest installierte Wanne gab es nicht, bis zur Wende wurde in einer gußeisernen Wanne gebadet, die man zur Not auch woanders hätte hinstellen können als in den kleinen, gefliesten und als „Bad“ deklarierten Raum.
Ich verbrachte dort etwas mehr als zehn Jahre, bevor ich mit siebzehn auszog – in meine erste eigene Wohnung.
Bis wenige Wochen vor seinem Tod lebte mein Vater in dieser Villa. Er hatte sie irgendwann – ich nehme an, in den 70er Jahren – „günstig erstanden“, wie er mal erzählte, wobei er Umstände und Preis großzügig verschwieg.
Er und meine Mutter überlegten ungefähr ein Dutzend mal, aus der Villa auszuziehen. Zu groß, zu sanierungsbedürftig, zu energieverzehrend. Getan haben sie es nie – das alte Gemäuer verkaufen, in etwas Kleineres ziehen. Chancen und Gelegenheiten hingegen gab es genug. Gründe nicht auszuziehen wohl auch – redete man getrennt mit ihnen, wieso es wieder einmal nicht zum verkauf kam, schoben sie es immer auf den jeweils anderen. Eine übrigens beliebte und verliebte Art meiner Eltern, sich gemeisam stillschweigend auf etwas zu einigen.
Jetzt allerdings. 400 Quadratmeter Villa. 10.000 Quadratmeter Grundstück. 11 Zimmer, zwei Nebengebäude. Für eine Person?
Mein Elternhaus hat seinen Zweck für unsere Familie erfüllt.
War Heimstatt für drei Generationen, viele Abenteuer, unzählige Feste und Erinnerungen. Nicht nur das Leben meiner Eltern, auch meines, das meines Bruders und meiner Frau hat es maßgeblich beeinflusst.
Jetzt heisst es Abschied nehmen.
Ich bin, seit ich bei meinen Eltern 1998 auszog, bisher achtmal umgezogen. Habe in sechs verschiedenen Städten gelebt. Und von allen trage ich etwas in mir.
Gemäuer verlassen wir – aber wir hinterlassen Geschichte darin, und nehmen unheimlich viele Geschichten daraus mit. Danke, Haus. Mögen deine künftigen Bewohner ihre eigene Geschichte in Dir schreiben.
Erinnerungen?
Da war die Geschichte mit der Feier, zu welcher der Vater meiner Frau damals verspätet und mit einem Daumen weniger kam (hört sich schlimm an, nahm er jedoch mit der für ihn typisch lockeren Art). Da waren kalte, erste Nächte mit *ihr*. Da war Holz hacken, die schwarze Wand im Kinderzimmer, die Kellertreppe. Die gute Stube, und dieses Foto jener Feier mit diesem tollen Mann, der ihr Vater war. Da waren Gespräche – gute, wie schlimme, die mich und *sie* beeinflussten. Da waren die Kinder und Hasen, Pferde, Hunde. Und Kirschen. Da war mein erster Kuss, und mehr.
Da war. Ein Lächeln beim Abschied.
Hach, ist das schön geschrieben