Vor einigen Jahren habe ich eine Dokumentation über Japan und seine Esskultur gesehen – ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau und wo. Aber ich lernte an diesem Nachmittag etwas. So lernte ich zum Beispiel, dass nicht die in Europa als “laktoseintolerant” bezeichneten Menschen krank sind, sondern wir “laktostoleranten”. Denn eigentlich *soll* man, laut Plan von Mama Natur, als erwachsener Mensch überhaupt keine Milch vertragen. Tun die meisten Asiaten dann eben auch nicht. Denn die domestizierte Kuh wird dort eben nicht vorrangig für den Milchkonsum gehalten. Erst in den letzten Jahren entdecken Japaner so zum Beispiel den Jogurt – laktosefrei versteht sich.
In der gleichen Dokumentation stolperte ich auch zum ersten Mal über ein kleines Kraut namens Stevia. Im asiatischen und südamerikanischen Raum dienen die getrockneten Blätter der Stevia zum süßen von Speisen. Zuckerrüben-Zucker, wie wir in Europa, ist dort nicht so massiv verbreitet. Und wenn man Stevia dem Zucker gegenüber stellt, dann weiß man auch schnell, wieso ‘unser’ Zucker dort keinen Siegeszug antreten konnte: Weil Stevia frei von Kalorien ist – entsprechend nicht dick macht, und auch nicht krank. Und von Stevia “überessen” kann man sich auch nicht – das Zeug ist zigfach süßer als Zucker, muss also wohldosiert werden.
Nun fragte ich mich: Wieso kennen wir das hier nicht?
Antwort: Die Europäische Union verhindert seit Jahren die Einführung von Stevia in den Mitgliedsländern. Der Verkauf der Pflanze als Lebensmittel ist hier ebenso verboten wie ihr Einsatz in Nahrungsmitteln.
Europa blockt die Einführung des biologischen Süßstoffes konsequent – aufgrund des Einflusses der Zuckerindustrie.
Nun wird der Ruf der Stevia-Befürworter in den letzten Jahren immer lauter, wenn auch auf kaum wahrnehmbarer Frequenz. Und siehe da: Stevia darf kommen – ganz legal.
Doch, Halt! Der Sieg ist keiner. Denn Stevia darf nicht als Pflanze kommen, und nicht unbehandelt in Nahrungsmittel fließen. Wo kämen wir hin!
Deswegen kommt Stevia in Europa künftig als “E 960” in die Läden. Als Steviosid. Nicht mehr halb so biologisch und freundlich, wie es sein könnte.
Die Lebensmittelindustrie feiert es trotzdem. Und blufft mal wieder.
Nur: In der jetzt zugelassenen Form will ich Stevia dann auch nicht mehr …
Das Kippen der “Ernährungsampel”, die Blockade von Stevia – diese Beispiele zeigen, welchen Einfluss die Zuckerindustrie hat. Die EU will diese Einflüsse abbauen, man kann nur hoffen, dass sie das mit Erfolg tut …
Heute hat DER SPIEGEL eine kleine Reportage über die Geschichte des Zuckers und den Einfluss der Zucker-Lobby veröffentlicht. Und der Standard berichtet über E 960. Lesepflicht.
DER SPIEGEL: Dickes Geschäft
Der Standard: Stevia, der große Bluff
Es steckt ja ein ganzes Gesellschaftsmodell dahinter. Fressen, Fettwerden, Verdummen. Wenn da Säulen weggerissen werden, funktioniert das Ganze nicht mehr.